Ein zarter Luftstrom weht durch das Halbdunkel des S-Bahn-Tunnels, 20 Meter tief unter der Straße. Während draußen Schneeflocken fallen, sind es hier noch zehn Grad. „Wir pumpen Frischluft in den Eingang des Tunnels am S-Bahnhof Friedrichstraße. Eine Station weiter – am Oranienburger Tor – saugen Filteranlagen die Luft an wie riesige Staubsauger und reinigen sie, bevor sie wieder nach draußen gepustet wird“, erklärt Patrick Schneider von der Firma Compact Filter Technik. „Sie ist dann sogar sauberer als die Stadtluft.“ Ob die Luftqualität unter der Erde stimmt, zeigt ein kleines Gaswarn­gerät an, das an seiner Brust befestigt ist. Alles im grünen Bereich! Kohlenmonoxid, Kohlendioxid, Stickstoff­monoxid und Stickstoffdioxid liegen unter den Grenzwerten.


Gegen dicke Luft unter Tage: Am S-Bahnhof Friedrichstraße pumpen während der Bauarbeiten große Ventila­toren Frischluft in den Tunnel. Foto: André Groth

 

Der Ingenieur sorgt mit seinem Team dafür, dass die Gleisbauer:innen auf der Baustelle im S-Bahn-Tunnel ohne Gefahr für ihre Gesundheit arbeiten können. Entwickelt wurde die Technik im Bergbau. Jetzt reinigt sie die Luft von den Abgasen der Baumaschinen und dem Staub, der durch den alten Schotter aufgewirbelt wird. Etwa eine Tonne Feinstaub sammelt sich so innerhalb von zwei Wochen in den großen weißen Beuteln der Anlage. Bevor sie in Betrieb gehen konnte, dauerte allein die Installation eine Woche – eine aufwändige Sache.

 

Gut im Zeitplan

Und nicht nur die Vorbereitungen, auch die Bauarbeiten im Nord-Süd-S-Bahn-Tunnel sind aufwändig: Schließlich müssen aktuell mehr als 9.000 Meter Schienen ausgetauscht, 200 Schwellen erneuert, 17 Weichen instand gesetzt und über 18.400 Meter Schienen geschliffen werden. Sechs Wochen ist deshalb der S-Bahn-Verkehr auf den Linien S1, S2, S25 und S26 unterbrochen. Gesperrt ist aktuell die Strecke zwischen Südkreuz beziehungsweise Yorckstraße (Großgörschenstraße) und Gesundbrunnen. „Wir liegen bisher gut im Zeitplan und sind zuversichtlich, dass die Züge pünktlich wieder rollen“, so Ulrich Burkhardt, Projektleiter bei DB Netz. Bis es soweit ist, haben er und 280 Kolleg:in­nen, die rund um die Baustelle be­schäftigt sind, alle Hände voll zu tun.

Zum Beispiel die Gleisbauer:innen, die gerade hinter dem lärmenden Ungetüm herlaufen, das mit gelben Scheinwerfern durch den Tunnel fährt: die Stopfmaschine. Ihre stählernen Arme graben sich rhythmisch durch den Schotter und pressen ihn zusammen. „Die abgesunkenen Gleise werden so wieder in die richtige Position angehoben. Mithilfe eines Lasermess­geräts gelingt das auf den Zentimeter genau“, erklärt Burkhardt. Die Arbeiten sind eine Frage der Sicherheit und des Fahrkomforts. „Mehr als 760 Zugfahrten muss die vielbefahrene Strecke unter der Berliner Innenstadt werktags aus­halten. Stimmt die Lage der Gleise nicht mehr, merken das die Fahrgäste im Zug. Es ruckelt dann irgendwann immer mehr.“


Die Stopfmaschine drückt den Schotter unter die Holzschwellen, um die Gleise wieder auf die vorgeschriebene Höhe zu bringen. Circa 250 Meter schafft sie pro Stunde – drei Durchgänge sind jeweils nötig. Fotos: André Groth

 

 

Viel Handarbeit ist nötig

Die Gleisbauer:innen ziehen den Schotter wieder mit Gabeln glatt. Ein Job, den über der Erde auch größere Maschinen erledigen könnten. Hier aber fehlt für sie der Platz, deshalb ist Handarbeit angesagt. Ist die Stopf­maschine fertig, können die Züge wieder sanfter durch die Kurven gleiten. Damit die Zugräder richtig rollen, muss zudem das Profil der Schienen stimmen. Ist es abgefahren, hilft es, sie wieder in die richtige Form zu schleifen. Während der Bauarbeiten erneuert die Deutsche Bahn zudem die Düsen, die die Räder automatisch mit bio­logisch abbaubarem Fett besprühen und so lautes Quietschen dämpfen.


Aufwändige Handarbeit: Mit Schottergabeln stopfen die Gleis­bauer:in­nen die Löcher, die die Maschine vor ihnen hinter­lassen hat. Foto: André Groth

 

 

Berg- und Talfahrt im Tunnel

„Durch die vielen Kurven und Steigungen auf der knapp sechs Kilo­meter langen Strecke und die hohe Belastung ist der Verschleiß extrem hoch“, erklärt Burkhardt. Jedes Jahr muss die Deutsche Bahn die Tunnelstrecke deshalb wieder fit für die Weiterfahrt machen. Allein 2023 werden dafür 13 Millionen Euro in das Bauwerk investiert, das bereits in den 1930er-Jahren erbaut wurde. Es verband die damaligen Fernbahnhöfe Stettiner Bahnhof (später Nordbahnhof), Friedrich­straße und Anhalter Bahnhof.

Eine riesige Herausforderung ist auch die Logistik auf der engen Baustelle unter der Erde: Viele Tausend Schienen müssen mit Baggern entfernt und abtransportiert werden. 2.000 Tonnen alter Schotter müssen aus dem Tunnel raus, 2.000 neuer wieder rein. „Ein bisschen ist das wie ein kompliziertes Puzzle-Spiel. Alle Baumaterialien müssen zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle sein. Da darf das Gleis nicht vom falschen Fahrzeug belegt sein“, sagt Bauüberwacher Andreas Krause von der Berliner Firma PUS. Täglich legt er viele Kilometer durch den Tunnel zu Fuß zurück. Er prüft beispielsweise, ob alle Teile recht­zeitig geliefert und alle Maßnahmen richtig durch­­geführt wurden. Damit alles rund läuft, braucht es eine gute Planung: Die Vorbereitung für das Projekt hat bereits zwei Jahre vorher begonnen.

Noch bis zum 17. Februar abends arbeiten Krause und seine Kolleg:in­nen unter Hochdruck. Ist alles fertig, putzen die Reinigungskräfte in den Bahnhöfen gründlich durch. Dann können die Züge hier wieder fahren.

 

Kristin Lübcke

 

image_printdrucken